Obszöner Anruf II
Über dem Valley des steinigen Flusses geht die Sonne auf.
Guten Morgen Chemnitz alte Pappmaschéstadt. Hier ist wieder dein kleiner Schmierfink. Wir sind noch nicht fertig miteinander und du hast auch noch die Sonderausgabe des Playboy Januar 1995 von mir. Die will ich zurück haben, da hilft dir auch deine Todstelltaktik nichts.
Was ist denn jetzt los? Haben sich die Menschen in Chemnitz plötzlich dazu entschlossen, gegenseitig an ihren Schlüpfern festzuhalten und mit bebender Stimme das zu verlangen was ihnen gebührt: „Wir wollen doch bitte auch mal dürfen. Bitte, gebt uns das Recht in unserer Stadt eine eigene Kultur aufzubauen, zu raven wann es uns beliebt, den Lautstärkepegel über Flüsterniveau zu heben.“
Aller Orts spührt man eine unterdrückte und eigendlich längst vergessene Energie. So fühlt es sich an, das brache Potential des introvertierten Mannes, jener Spezies die dieser Tage resigniert und alles um sich herrum resignierend durch unsere Straßen schlurft, auf der Suche nach einem unruhigen Plätzchen, um die wenige Zeit zu nutzen die bleibt wenn man schonmal Auslass hat.
Wann ist irgendwem irgendwann einmal Recht gegeben worden. Ideelle Werte gibt es nicht in die Hand oder verabreicht. Hört auf zu fragen, hör einfach auf! Die Stadt gehört denen die sie sich nehmen und aus genau diesem Grund, hat auch der braune Bürger so viel Lebensraum, weil wir ihm überlassen was wir selbst nicht zu nutzen in der Lage waren.
Liegt mir doch nicht in den Ohren mit eurer Cegidaempörung. Es ist leicht die Verantwortung mit den Worten „die sind eben einfach nur dumm“ von sich zu weisen. Daran sind wir selbst schuld: Zu viel kultureller Leerstand, zu wenig Mut, keine Visionen. Das Versagen der letzten Generation klingt nach und nach und nach.
Kläglich sind wir die letzten Jahrzehnten in der Schaffung eines vielfältigen Ortes mit offener, freigeistiger Mentalität gescheitert, waren zu feige der jungen Generation auch nur das Gefühl von Potential und Möglichkeit zu vermitteln. Aber wer ist den hier eigendlich Chemnitz? Sind es die Menschen oder Institutionen, oder gar die Stadtverwaltung? Ach komm, hören sie doch auf. Die meisten Institutionen haben sich als Luftschlösser entpuppt, Cretins die versuchen auf einer Leberwurst reitend die Steppe zu durchqueren. Nach wessen Gemüht definiert sich dieses oder jenes Lebensgefühl. Will man Kultur machen muss man vorher um Erlaubnis fragen. Bei Erfolg darf man sich mit der nächstbesten Grinsebacke aus Lokalpolitik fotografieren lassen, damit ein wenig des Glanzes die Strukturen ziert, die es ironischerweise nahezu unmöglich machen eine freigeistige Schöpferkraft walten zu lassen. Ich bin auf Kriegsfuß mit der Stadt oder sagen wir ehr mit dieser elenden Opfermentalität. Wenn das rote Licht angeht, die Arme in die Luft werfen weils dann ja so witzig kribbelt im Bauch.
Ein solider Einlauf mit Kaffee soll da helfen. Sahne und Zucker sind aber Optional… hab ich mir sagen lassen. Ihr müsst euch untenrum mal entkrampfen. Sie sagen ihr habt den Funk nicht und das stimmt auch. Geschlechtskälte, das Wort hatte ich gesucht, als Geschlechtskälte oder frigide Mentalität lässt sich das Ganze ganz gut umschreiben. Chemnitz hat sein Mojo verloren.
Was sagen sie? Das wäre lächerlich? Ganz recht es ist lächerlich. Die Impotenz unserer Stadt hat wie in soo vielen tragischen Fällen etwas mit mangelndem Selbstvertrauen zu tun.
Wir müssen reden, über den schon fast pathologischen Fetisch für überteuerte Bänke und bemahlte Schornsteine, über Imageprojekte die keinem etwas nutzen. Zukunftweisendes sucht man in diesem Verhalten vergebens. Das ganze erinnert an die dekadenten Herrscher vergangener Tage, die aus Langeweile und Verblödung herraus, unnütze Verschwenderprojekte in Auftrag gaben.Wie darf man dieses Verhalten interpretieren? Als Prunksucht, Minderwertigkeitskomplex? Wir wollen uns nicht im Penisvergleich mit anderen Städten sehen und rechtfertigen schon garnicht. Es wäre schonmal ganz erfrischend würde man mit sich selbst einen Umgang finden, eine Haltung pflegen, sich klar zu gewissen Fragen positionieren.Wie soll es denn sein, das Lebensgefühl das wir in Chemnitz möchten? Wie sieht er aus, der Marxcity-way-of-life? Und nein, die Frage geht nicht an die Hirnzwerge aus der Politik. Ihr Lappen werdet zurück bleiben, an die nächstbeste Litfasäule gebunden und stehend unter einer dichten Schicht eurer eigenen Wahlplakaten begraben. Das mit der political Correctness, den Mist lassen wir jetzt mal. Vorgeheuchelte Höflichkeit und Um-den- heißen-Brei-Gerede sind alles nur Verzögerungstaktiken um dem Geständnis vollkommen gescheitert zu sein nur noch ein Stück ausweichen zu können.
Man glaubt es kaum. Sie werden vermutlich genauso verwundert sein wie ich, aber offensichtlich hat Chemnitz zuviel Geld. JA! Nach den knallig-hippen Erfolgsrezepten: Stadt der Moderne oder Die-Stadt-bin-ich (ja das hat gekostet) kommts jetzt ganz dick. Halten sie ihren angeklepten Schönheitsfleck fest, zurren sie die Erwachsenenwindel enger: Chemnitz „Morgenstadt“ GADUSCH! IN YOUR fACE, Oooohhhhhhhhhhhhhhh!!!! Ach ja, und eine Brücke soll für die Bahn gebaut werden und damit geht der Abriss eines Chemnitzer Wahrzeichens einher. Der übliche Mist eben.
Neben dem für den geborenen Marxstädter typischen Verzweiflungsstolz sind immernoch Rudimente der Schahm über. Weshalb auch immer. Jene, die in ihrer Jugend nicht geflohen sind von hier, haben gegen die lokalen Widrigkeiten einen Trotz entwickelt. An ein aufblühen glaubt dennoch kaum einer. Wenn du weiter daran rumpuhlst wird es nie abheilen.
Wie wäre es mal mit ein wenig mehr Selbtsverständnis. Wie wollen wir sein? Eine Metropole im Blutrausch, immer schneller höher weiter auf der marktwirtschaftlichen Streckbank oder doch eine Stadt der persönlichen Entfaltung und neuen Perspektiven, der alternativen Wege in der ein angeregtes Treiben herrscht und inspirierte Menschen einen ungezwungenen Umgang miteinander pflegen, die ostdeutsche Direktheit im Kopf, für die wir auf der ganzen Welt bekannt sind. Was solls, sein wir doch einfach mal so dreist und malen ein romantisches Zukunftsbild. Genieren sie sich ruhig mal. Macht ja sonst keiner.
Seitens der älteren Bevölkerungsschicht muss sich ein Entgegenkommen und mehr Toleranz gegenüber jüngeren Generation und ihren Ambitionen eigene Lebensentwürfe zu gestalten bilden. Es geht nicht an, dass gegen jeden Mucks der die Totenstille durchbricht ohne mit dem Auge zu Zwinkern, ohne den Aufwand zu betreiben im Gespräch eine Lösung zu finden, Anzeige erstattet wird. Auch ihr werdet teilen lernen müssen.
Das die Subkultur in Chemnitz so vor sich her röchelt liegt aber nicht zuletzt an uns selbst.
Strukturen, engagierte Vereine und liebevolle kleine Spezialläden die man in der Innenstadt so vermisst, werden, wenn sie vereinzelt auftauchen ignoriert und verschwinden binnen weniger Jahre wieder, hinterlassen eben jenes karge Stadtbild das man kennt und fürchtet. Wo bleibt das Engagement, der lokale Trotzstolz wenn man ihn braucht.
Wie muss diese fehlende Identität, der mangelnde Mut zur Persönlichkeit auf Leute von außerhalb wirken? Da fällt mir auf Anhieb eigendlich nur eine Mießmuschel ein, die uns in Sachen Charme in nichts nachsteht. Damit kann ich mich gut identifizieren. Aber kein Grund den Kopf in den Uferstrandsand zustecken.
Bitte? Ach sich möchten gerne das ich meine Enttäuschung politisch korrekt formuliere?
Ich hätte gerne das man mir den Arsch mit Hermelinpelz poliert, was bisher leider noch nicht passiert ist. Zu blöd. Nun stehen wir beide da wie die letzten Deppen.
Das Recht auf den ersten zweite und dritten Versuch ist verspielt. Wir können jetzt getrost damit aufhören jedes Thema mit Samthandschuhen anfassen und alles delikat korrekt machen zu wollen. Diese zimperliche Kacke nervt. Können wir nicht mal direkt zur Sache kommen uns einwenig entkrampfen. Wie schon gesagt: Geschlechtskälte, eindeutig Geschlechtskälte. Warum gehen denn so viele Leute weg und fühlen sich hier nicht wohl. Weil sich nichts, garnichst ändern wird. Es fehlt an Esprit, an freien Radikalen, chaotischen Fragmenten, es fehlt an Potenz. Es ist nicht der bestehende Zustand der die Jugend verschreckt, sondern die erdrückende Gewissheit, dass sich an diesen starren Strukturen nichts ändern wird. Alles festgefahren. Der Puls der Stadt ist nurnoch ein wimmerndes Puckern. Der Campus ist dem Zentrum entrückt. Das Herz schlägt außerhalb des Körpers.
Hört doch hin, der Beat von Marx-City schwingt in ungewöhnlichen Takten. Das Schlurfen der Grauhaarbrigade vermischt sich mit den Rotationen der Rollatoren. Irgendwo in der ferne Ruft jemand die Apokalypse aus.
Ohh Stadt des ungenutzen Potentials, wann verstört man dich endlich aus deiner Angststarre. Muss man hier alles selbst machen? Aber ja, eben genau das ist der Punkt: Selbst machen. Das Tal braucht eine Aufbruchsstimmung, einen unbedingten Glauben an Fortschritt und Selbstverwirklichung.
Hör zu introvertierter Mann!! Deinem Lifestyle fehlt der Pimmel und das weist du auch. Du hast den Funk nicht, nochnicht. Ohne Hemmungen wärst du besser drann.
Jetzt haben wir die 48 Stundenregelung, den städtischen Muttizettel wenn man so will. Danke ohh danke, lasste mich eure Füße Küssen ,echt Laser. Die Bürokratiekacke könnt ihr euch in die Haare schmieren! Ist das jetzt Fremd oder Selbstdegradierung?!? Denkt mal drüber nacht. Misstrauen wird die Situation weder richten und noch auflockern. Mein Gott, in was für einer verkrampften Gesellschaft leben wir eigendlich (Fangfrage).
Andererseits geht es vorran. Plötzlich gibt es etwas. Ein Festival, das wir ganz sicher der passiven Mehrheitsmentalalität des Chemnitzer Lebemannes zu verdanken haben.
Glaubt ihr wirklich das Universum hat uns angenehm warm auf den Kopf gepinkelt? Natürlich nicht. Ein paar wenige Leute haben gewagt etwas aufzubauen. Eben genau mit dem Pioniergeist den es zu fordern und fördern gilt.
Chemnitz könnte so vieles sein. Doch habt ihr … du …. hast du was es dazu braucht? Die Schonzeit ist vorbei. Um die Bewährungsprobe zu bestehen braucht es den unbedingte Wille zum Aufbruch. Hier im Tal könnte ohne weiteres eine Zukunftsstadt entstehen. Der Mut beginnt hier. Chemnitz, ab heute tun wir etwas gegen dein pockennarbiges Gesicht. Vergiss die Gleichgültigkeit, antiquierte Barrieren und unnötig verkomplizierende Bürokratie. Auf eure Angstrituale und Verdrängungsmechanismen könnt ihr verzichten. Das liegt hinter uns. Kommt darüber hinweg. Wir können aufhören uns auf andere zu verlassen, das zieht nur eine Dynamik der Stillen Post mit Altzheimerpatienten nach sich. Reihum, reihum und keiner ist je an der Reihe. Wir müssen unsere Zukunft nicht nach der muffigen Vergangenheit anderer ausrichten.
Das Letzte Notrufsignal geht raus in das Ödland am Fuße des Erzgebirges. Sierra Oscar Sierra. Auf die Beine von Unmut befallene Mehrheit. Irgendwo hier ist Lebensraum für euch. Ich weis, es fällt schwer im Angesicht der Tristesse, der grauen Mietmauern Inspiration zu finden und doch, gibt es sie. Sein wir doch einfach mal so dreist und maßen uns die notwendige Selbstfaszination an. Ein weiterer Tag neigt sich dem Ende zu in der Stadt der vertrockneten Libido. Nimm die Blaue Pille, ach und willkommen in dieser Ödniss.
Mit freundlichen Grüßen, einer deiner Emporkömmlinge.
von Yannick Fiedler in Blog